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von Herwig Siebenhofer
Die gesellschaftliche Funktion des Bildungswesens hat in den letzten 200 Jahren eine Vielzahl verschiedener Bildungssysteme hervorgebracht. Um eine europäische Identität stiften zu können (und damit ein Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft zu erhalten) versuchte die EG schon öfters, die nationalstaatlichen Regelungen der Mitglieder im Bildungsbereich zu vereinheitlichen. Dies gelang aber auf Grund heftiger Widerstände nicht. Mit dem Vertrag über die Europäische Union wurden dann im Jahr 1992 erstmals bildungspolitische Bestimmungen in das Primärrecht aufgenommen. Diese sehen dezidiert ein Harmonisierungsverbot vor. D.h. die Europäische Union ist verpflichtet, darauf zu achten, dass alle ihre Maßnahmen im Bereich der allgemeinen und Beruflichen Bildung (Art. 126 u. 127 EG-V) zu keinem Angleich der rechtlichen Regelungen ihrer Mitgliedstaaten führen.
EU-Politik macht der EuGH
In der Praxis heißt das: Die EU beschließt eine schwammige Richtlinie. Erst der Europäische Gerichtshof (EuGH) gibt dieser Richtlinie in seinen Entscheidungen den wirklichen politischen Inhalt. Ein paar Beispiele:
Bereits 1968 also lang bevor Bildung im Primärrecht verankert wurde entschied der EuGH, im Fall Lair (EuGH 39/68), dass ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke eines Hochschulstudiums nur dann gewährt werden muss, wenn unmittelbar davor ein Arbeitsverhältnis bestand. Dieses Arbeitsverhältnis durfte nicht zur Erreichung eines Studienplatzes bestanden haben. Diese Entscheidung ist mittlerweile irrelevant, da Studierende mit EU-Staatsbürgerschaft, wenn sie glaubhaft machen können, dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, generell ein Aufenthaltsrecht besitzen (90/566/EWG und EuGH C-295/90).
Ein griechischer Hochschulabsolvent der Geologie wollte in Berlin seinen Beruf ausüben und beantragte die Feststellung der Gleichwertigkeit seines Hochschuldiploms. Sowohl die zuständigen deutschen Behörden als auch der EuGH legten die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie 89/48/EWG dahingehend aus, dass der Zugang nur Personen von regelmentierten Berufen gewährt werden muss und somit in diesem Fall das EU-Recht über die Anerkennung von Hochschuldiplomen (Art. 57 EG-V) nicht anzuwenden ist (EuGH C-164/94 Fall Aranitis gegen Land Berlin).
Der Kampf um Einfluss
Bei der Willenskundgebung der Kommission und des Rates spielen die etwa 20.000 LobbyistInnen diversester Länder und Interessensgemeinschaften eine große Rolle. Auffallend viel übernimmt die EU dabei von dem 1982 gegründeten European Roundtable of Industrials (ERT). Dieser eine Art europäische Industriellenvereinigung produziert regelmäßig zu diversen Themen politische Papiere. Diese finden sich wenige Jahre später fast wörtlich als Grün- und Weißbücher der EU wieder. Im Verlauf eines Jahrzehnts werden sie dann in etwas abgeschwächter Form in das Primärrecht der EU aufgenommen. Als Beispiel möchte ich die Tätigkeitsbereiche und Ziele der schon oben erwähnten Bestimmungen über allgemeine und berufliche Bildung nennen.
Bildung unter Kontrolle?
Im Zwischenbericht des ERTs zur Neugestaltung der europäischen Erziehung und Bildung fällt zunächst auf, dass Europas größte Wirtschaftslobby keineswegs . wie ihr meist unterstellt wird auf die Abschaffung der geisteswissenschaftlichen Studienrichtungen abzielt. Nach Ansicht des ERTs sollen die Geisteswissenschaften dazu dienen, eine europäische Identität zu stiften. Weiters führt er zu Stellung der Frauen aus, dass das kulturelle Niveau der Mutter ausschlaggebend ist, wenn es um die Frage der verschiedenen Möglichkeiten während der Schulzeit des Kindes geht. Und hier geht es nahtlos in das ERT-Konzept des lebenslangen Lernens über (Anm.: Die EU hat heuer das Jahr des lebenslangen Lernens ausgerufen). Dass soll die Länder der EU verpflichten, die Mittel und Möglichkeiten dafür zur Verfügung zu stellen. Dies begründen sie vor allem damit, dass viele Jobs sich verändern werden oder vollständig verschwinden, was von den ArbeitnehmerInnen fordert, sich kontinuierlich mit neuen Informationen auseinanderzusetzen und ständig neue Fähigkeiten zu erlernen. Immer mehr Menschen, die hier nicht mithalten werden können, sind in den Betrachtungen des ERTs nicht existent. Überhaupt spricht der ERT nicht von Menschen, sondern vom humanen Faktor die Reduzierung des Menschen auf einen Produktionsfaktor im Arbeitsprozess.
Soziale Privilegien ab dem ersten Schuljahr
Ellbogentechnik und Egoismus stehen bei den europäischen Großkonzernen hoch im Kurs. Sie sehen es als völlig selbstverständlich an, dass Kinder ab dem ersten Schuljahr mit dem Konkurrenzkampf konfrontiert werden und dadurch geschult werden, um den Wettbewerb um soziale Privilegien kennenzulernen. Nur wer hier besonders an Hinterlist hervorsticht, darf die Leitung von Schulen übernehmen, denn eine erfolgreiche Schule im Jahr 2000 muss von erfolgreichen Gewinnern geführt werden. Um den Schulen und Universitäten Lehrinhalte nur nach den Vorstellungen des ERTs aufzuzwingen, ist es notwendig geworden, Komitees einzusetzen, die dafür verantwortlich sind, Bildungsinhalte periodisch auf den neuesten Stand zu bringe. Erste Schritte in diese Richtung setzte in Österreich 1993 die Neuorganisation der Universitäten.
Weiters sollen in der geplanten Änderung des Studienrechts nach Vorstellungen des Wissenschaftsministeriums die VertreterInnen der Wirtschaft gleich in mehreren Phasen der Studienplanerstellung verpflichtend eingebunden werden.
Die Kooperation
Wer aber glaubt, dass es dem ERT damit schon genügt, irrt gewaltig. Denn der Beitrag der Industrie zu diesen Komitees mag nicht ausreichend sein, um zu sichern, dass während der Schulzeit die richtigen Fähigkeiten an die jungen Menschen weitergegeben werden. Ein Weg, diese Schwierigkeiten zu überwinden, so die europäische Wirtschaft, könnte sein, WahlprüferInnen der Industrie zu erlauben, in periodischen Abständen die Schulen zu besuchen und die technische Qualität der Lehre einzuschätzen. Damit der ERT seine Ziele im Bildungsbereich auch umsetzen kann, wurde schon 1988 das Forum der Europäischen Hochschulen und der Industrie ins Leben gerufen, dessen Vorsitzender der Präsident der Universität Hannover, Prof. Seidel, ist.
Mit diesen Aussichten gehen wir in eine düstere Zukunft eine Zukunft, deren Hauptbestandteile vom ERT vorgeschlagen werden und die nur mit ihm gemeinsam diskutiert werden soll. Denn nur so wird die Kreativität und die Energie der Beteiligten mobilisiert.